Methode und Technik der Psychodramas
 
Der Prozess der psychodramatischen Arbeit lässt sich in drei Phasen unterteilen: die Phase der Erwärmung, die Spielphase und die Integrationsphase. Für jede dieser Phasen gibt es eine Vielzahl spezifischer Psychodramatechniken, die sich acht zentralen Psychodramatechniken (Szenenaufbau, Doppeln, Szenisches Handeln, Spiegeln, Rollentausch, Rollenfeedback, Szenenwechsel, Sharing) zuordnen lassen (Krüger, R., 2006, 2008). Diese bauen systematisch aufeinander auf und können gezielt an den Kreativitätsblockaden ansetzen, diese auflösen und damit auf die verschiedenen Störungen spezifisch heilsam wirken. Der psychodramatische Handlungsraum wird durch fünf Grundelemente konstituiert. Die Instrumente des Psychodramas sind die Bühne, die ProtagonistIn, das Hilfs-Ich, die Gruppe und die Leitung.
 
Instrumente des Psychodramas

    Bühne
    Leitung
    Die Gruppe
    ProtagonistIn
    Hilfs-ich


Techniken des Psychodramas

    Szenenaufbau und Doppeln
    Szenisches Handeln, Rollenspiel und Spiegeln
    Rollentausch und Rollenfeedback
    Szenenwechsel und Sharing
    Rollenspiel
    Soziodrama
    Soziometrie


Psychodrama-Gruppentherapie mit Kindern (KID)

    Das Symbolspiel als kreativer Prozess der Lebensbewältigung
    Das Rollen-Symbol-Spiel
    Die Gleichaltrigengruppe
    Das Therapeutenpaar
    Struktur einer Psychodramasitzung
    Therapietechniken und Interventionen im Kinderpsychodrama
    Psychodrama-Einzeltherapie mit Kindern
 
Instrumente des Psychodramas
 
Bühne
Die Bühne ist ein frei definierter Spielraum, der stellvertretend für die Lebenswelt des/der ProtagonistIn steht und funktioniert nach dem Prinzip "inner world outside" (Holmes). Das Erlebte wird durch die Vorstellungskraft des Prota-gonisten und der Gruppe im Hier und Jetzt dargestellt. Auf der Bühne können Veränderungen im Rollenverhalten ohne ein Risiko erprobt werden. Die Bühne erlaubt spontanes, kreatives Handeln, bietet Raum für die Konkretisierung von Gedanken und Ideen, für die Verwirklichung von Fantasien und die Vergegenwärtigung unbewältigter Erlebnisse.
 
Leitung
Eine Psychodrama-Leitende hat unterschiedlichste Aufgaben, die sich ganz nach den Erfordernissen einer Situation richten. Als SpielleiterIn ist er/sie verantwortlich für den Verlauf einer Sitzung und begleitet die Protagonisten im Spiel, nimmt Hinweise und Erzählungen auf und arrangiert sie in einer dramatischen Handlung, die dann unter Zurhilfenahme der psychodramatischen Techniken inszeniert werden. Dabei wird die die gesamte Gruppe in ihrem Bemühen um Veränderung unterstützt und individuelle Prozesse mit therapeutischem bzw. beraterischem Fachwissen begleitet.
 
Die Gruppe
Psychodrama lebt von der Begegnung mit anderen. Die Gruppe nimmt aktiv teil an der Inszenierung und unterstützt den/die ProtagonistIn darin, seine/ihre Konflikte auszuspielen. Alle Spiele werden im gruppendynamischen Prozess ausgewählt und sind somit gleichzeitig ein Katalysator für ähnliche Probleme der Gruppenmitglieder. Die Gruppenmitglieder übernehmen Rollen im Spiel des Protagonisten oder fungieren als Zuschauer. Durch Empathie und Feedback leisten sie Unterstützung beim Veränderungsprozess. Projektionen und Konflikte innerhalb der Gruppe können ebenso bearbeitet werden wie Schwierigkeiten einzelner ausserhalb der Gruppe.
 
ProtagonistIn
ProtagonistInnen sind AutorInnen und Schauspielende in einer Person. Sie sind diejenigen, welche z. B. einen Konflikt /Traum/ Wunsch etc. auf die Bühne bringen. Gegenwärtiges, Vergangenes, Erwünschtes und Erträumtes spielt der/die ProtagonistIn spontan auf die Art und Weise, wie er/sie die Dinge im Hier und Jetzt empfindet. Entscheidend ist, wie die ProtagonistInnen ihre Geschichte im Moment des Spiels erleben. Dabei erfahren sie nicht nur sich selbst vom eigenen Standpunkt aus, sondern sehen sich im Rollentausch auch mit den Augen anderer.
 
Hilfs-ich
Hilfs-Ichs sind Gruppenmitglieder, die von ProtagonistInnen gewählt werden, um die Figuren und Elemente ihres Lebensraums darzustellen. Dabei kann es sich um reale Personen (z.B. Familienangehörige) handeln, um nicht vorhandene Figuren (z.B. Gott oder Teufel), oder aber um unbelebte Objekte (z.B. ein Haus, das Telefon etc.). Die Hilfs-Ichs sind die entscheidenden Komponenten in der Schlüsselszene des/der ProtagonistIn, ohne die eine Darstellung des Konflikts nicht möglich wäre. Da ihnen eine enorme Bedeutung zukommt, sollten die Hilfs-Ichs flexibel in der Ausgestaltung ihrer Rollen sein und ein feines Gespür für die Gefühlsnuancen des/der ProtagonistIn besitzen.



 
Techniken des Psychodramas
 
Szenenaufbau und Doppeln
Es geht im Szenenaufbau darum, dem Geschehen, das dargestellt werden soll, einen Ort /Raum und eine Zeit zu geben. Um es so konkret wie möglich werden zu lassen, wird eine konkrete Lebensszene der Person, welche etwas bearbeiten möchte (Protagonist), eingerichtet, mit allem, was dazugehört (äusserlich und innerlich). Dabei ist es auch möglich, dass Gegenstände oder Gefühle "eine Rolle spielen" und "beseelt" sind (und in der Gruppe mit Mitspielern (Hilfs-Ich) besetzt werden, die aus diesen Rollen sprechen oder handeln können).
 
Beim Doppeln stellt sich die Psychodramatherapeutin seitlich hinter den/die Protagonisten/in und versucht, sich so einzufühlen, dass sie in einer Art Selbstgespräch auch jene Gefühle und Impulse für ihn/sie verbalisiert, die er/sie selber im Moment nicht wahrnehmen kann. Es gibt einfühlendes, explorierendes, provozierendes oder Ambivalenzen ausdrückendes Doppeln, sowie eine mitagierende Doppelgängertechnik.
 
Szenisches Handeln, Rollenspiel und Spiegeln
Mit dem Szenischen Handeln wird das Handeln in der gesamten Spielszene bezeichnet. Es zielt darauf ab, alte Lösungswege der Selbstorganisation durch Handeln sicht- und erlebbar zu machen. Beim Nachspielen von Szenen im Rollenspiel werden innere Fehlverarbeitungen und neurotische Fixierungen wahrnehmbar. Durch die Gestaltung von Wirklichkeit führen die szenische Aktion und das Rollenspiel zu Erkenntnis und Veränderungsmöglichkeit derselben.
 
Denselben Effekt hat das Spiegeln - Dies ist ein zeitversetztes Spielen der Rolle des anderen in dessen Gegenwart. Durch die räumliche Distanzierung und den Perspektivenwechsel entsteht für den/die Protagonisten/in auch eine Rollendistanz, und es wird ihm möglich, sein eigenes Verhalten zu beobachten, zu hinterfragen und Veränderungsimpulse wahrzunehmen. Die Techniken des szenischen Handelns, des Rollenspiels und Spiegelns vermitteln den Sinn für die Realität und deren Umgestaltung.
 
Rollentausch und Rollenfeedback
Die Technik des Rollentauschs bedeutet, dass zwei Interaktionspartner in die Rolle des jeweils anderen wechseln und aufeinander bezogen nach- und weiterspielen. Dadurch gewinnt der Patient eine Einsicht in Ursache und Wirkung in der Beziehung (Beziehungserkenntnis). Im Rollenfeedback werden die Erfahrungen exploriert und ausgewertet, welche die mitspielenden Gruppenmitglieder (Hilfs-Ichs) in ihren jeweiligen Rollen gemacht haben. Durch den Wechsel von Verbalisieren und Zuhören, wirkt das Rollenfeedback auch wie eine Kommunikationstechnik. Die Einfälle aus den verschiedenen Rollen werden zusammengetragen und helfen der ProtagonistIn, innere Haltungen und Einstellungen zu überprüfen.
 
Szenenwechsel und Sharing
Der Szenenwechsel lässt den Patienten Ursache und Wirkung in einer Spielszene durch eine andere, zweite Spielszene interpretieren und vermittelt dadurch Sinnerfahrung für neurotische Symptome: Wenn beispielsweise eine Protagonistin eine aktuelle Szene zeigt, in der sie sich von der Chefin übergangen fühlt und ein Ausmass von Gefühlen und Blockierungen erlebt, die nicht mehr mit der auslösenden Situation zu erklären sind, stellt sich für die Protagonistin die Frage, woher sie diese Situation oder Gefühle kennt. Das könnte zu einer zweiten Szene führen, die zur Verdeutlichung beiträgt.
 
Sharing ist eine Technik, die vorzugsweise in der Auswertungsphase Anwendung findet. Nach einem Protagonistenspiel in der Gruppe ist es wichtig, dass die Gruppenteilnehmer ihre jeweilige Identifikation mit dem/der Protagonisten/in klären und sie mitteilen.
 
Rollenspiel
Das Rollenspiel ist im szenischen Handeln eine Basis des Psychodramas. Es geht aber über diese Techniken hinaus, indem es den Rollenspielenden ermöglicht, sich in der eigenen ebenso wie in der Rolle von anderen auszuprobieren. Damit wird das eigene Rollenrepertoire erweitert und spielerisch neue Erfahrungen gemacht. Gleichzeitig ist "Rollenspiel" auch eine didaktische Methode, die vielfach im pädagogischen und im Trainings-Bereich eingesetzt wird "mit dem Ziel des Verhaltenstrainings, der Verhaltensänderung, der Praxisbegleitung, der Persönlichkeitsentwicklung sowie der Vermittlung von fachbezogenem Wissen in unterschiedlichen Bereichen". (Schaller, R., Das grosse Rollenspielbuch, 2001)
 
Soziodrama
Geht es beim psychodramatischen Ansatz v. a. um persönliche und zwischenmenschliche Probleme, ermöglicht es der soziodramatische Ansatz soziale und gesellschaftliche Konflikte zu bearbeiten und Lösungsansätze dafür zu finden. Der eigentliche Hauptdarsteller eines Soziodramas ist die Gruppe, d. h. in der Regel ist die ganze Gruppe auf der Bühne aktiv. Da die Gruppengrösse im Soziodrama nicht begrenzt ist und das Soziodrama sehr komplexe Themen bearbeiten kann, eignet sich diese Methode auch für die Arbeit mit Grossgruppen und Organisationen.
 
Soziometrie
"Soziometrie ist die Wissenschaft der Messung zwischenmenschlicher Beziehungen" (Moreno zit. in von Ameln, Gerstmann & Kramer, 2004, S. 223). Im Mittelpunkt steht die Wahl, welche für Moreno der grundlegende Faktor der menschlichen Beziehungen ist.



 
Psychodrama-Gruppentherapie mit Kindern (KID)
"Historisch ging das Psychodrama aus der Grundlage des Spiels hervor. Das Spiel gab es seit jeher, es war immer da; es ist älter als die Menschheit, es hat das Leben des Organismus als einen seiner Überflüsse begleitet, das Wachstum und die Entwicklung vorausahnend… Aber eine neue Sicht des Spiels entstand, als wir in den Jahren vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges anfingen, in den Gärten und Strassen Wiens mit Kindern zu spielen: das Spiel als ein Prinzip der Selbst-Heilung und Gruppentherapie, als eine Form des ursprünglichen Erlebens; … Spiel als Phänomen sui generis, ein positiver Faktor verbunden mit Spontaneität und Kreativität. Das Spiel wurde von uns allmählich losgelöst … und zu einem methodischen, systematischen Prinzip geformt. Es hat uns zum "Stegreiftheater" geführt und später zum therapeutischen Theater, das im Rollenwechsel, im Psychodrama und im Soziodrama unserer Zeit seinen Höhepunkt erreichte." (J.L. Moreno. Gruppenpsychotherapie und Psychodrama. Thieme Verlag. Stuttgart 1973. S.80 f.)

Es wurde später mehrfach ergebnislos versucht das Psychodrama mit dem beschriebenen elaborierten Gruppenkonzept in die therapeutische Arbeit mit Kindern einzuführen. Erst mit der konsequenten Rückbesinnung auf die Grundlage des kindlichen Spiels konnte ein ausgearbeitetes Gruppenkonzept in der Therapie mit Kindern entwickelt werden (A. Aichinger/W. Holl. Psychodrama-Gruppentherapie mit Kindern. Matthias-Grünewald-Verlag. 1997)

 
Das Symbolspiel als kreativer Prozess der Lebensbewältigung
Das Spiel der Kinder kann entwicklungspsychologisch als Zentrum ihrer kulturellen Tätigkeit gesehen werden: "Das Üben motorischer Fähigkeiten, die Anforderungen, die das Spielen an die Sinne, an die Problemlösefähigkeit und die Kreativität sowie an Kooperation und den Ausdruck von Emotionen stellt, sind für das Aufwachsen der Kinder von grosser Bedeutung". Und: "Im symbolischen Spiel äussert sich … diese systematische Assimilation in einer besonderen Ausnutzung der semiotischen Funktion, die nach freiem Ermessen Symbole schafft, um all das auszudrücken, was in der gelebten Erfahrung nicht allein durch die Mittel der Sprache formuliert und assimiliert werden kann." (J.Piaget, Nachahmung, Spiel und Traum, 1969) Das Kinderspiel nimmt eine Anpassung und Veränderung der Wirklichkeit an die subjektiven Sichtweisen und Bedürfnisse des kindlichen Ich vor. Anders als im realen Leben des Kindes, indem es sich in der Regel den Bedingungen der Welt mehr oder weniger unterwerfen muss, kann es im Symbolspiel die Welt so verändern, dass sie seinen eigenen Bedürfnissen entspricht. Das Kinderspiel übernimmt Aufgaben der Lebensbewältigung zu einem Zeitpunkt, da andere Techniken und Möglichkeiten dem Kind noch nicht zur Verfügung stehen. Dies geschieht auf dreierlei Weise: als Nachgestaltung, als Umgestaltung und als vollständiges Verlassen der Alltagsrealität.

Das kindliche Spiel ist nicht nur kreativ verfremdete Inszenierung eines Konfliktes oder einer Erfahrung, sondern auch aktive Umsetzung und Bearbeitung von Erfahrungen, d.h. Bewältigungsarbeit. "Im Spiel … werden die unzweideutigsten Konflikte derart verarbeitet, dass das Ich Revanche nimmt, sei es durch Unterdrückung des Problems, sei es, dass eine annehmbare Lösung gefunden wird." (Piaget, Nachahmung, Spiel und Traum, 1969.) Kinder gehen im Spiel nicht in das Leiden, das für sie im Konflikt liegen würde. Das Spiel von Kindern hat nicht die primäre Intention der Rekonstruktion von Lebensrealität, sondern deren Deformation bzw. deren Neukonstruktion im Dienste der kindlichen Wünsche und Bedürfnisse.

Das Kind erlebt sich im Spiel als schöpferischer Konstrukteur oder Mitschöpfer seiner eigenen Lebenswelt. "Jedes spielende Kind benimmt sich wie ein Dichter, indem es sich eine eigene Welt erschafft oder, richtiger gesagt, die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt" (S. Freud, Der Dichter und das Phantasieren, 1907). "Im Symbolspiel entdeckt das Kind die schöpferische Dimension und verweist die konkrete Existenz in ihre wahren Schranken, eine Welt unter möglichen Welten zu sein. Es gewinnt darin gegenüber seinem eigenen Leben die Perspektive des schöpferisch Tätigen" (J.L. Moreno, Psychodrama Bd. 1, 1946). Im Symbolspiel der Kinder manifestiert sich die kindliche Kreativität in ihrer spezifischen Weise.

 
Das Rollen-Symbol-Spiel
J.L. Moreno wendet vor allem den Rollenbegriff auf das kindliche Spiel an. Das Kind findet sich selbst erst im Durchgang durch die Rolle des Anderen. Moreno sieht die Entwicklung des Kindes an die Interaktion mit anderen individuellen Organismen gebunden. Das Kind schafft sich in seinem Spiel Doppelgänger, imaginäre Gefährten, mit denen es sich teils identifiziert und teils auseinandersetzt.

Moreno versteht unter Rollen konkrete Verhaltensweisen, die während des Sozialisationsprozesses erworben werden. Diese Rollen verändern sich während des ganzen Lebens. In den Rollen sind individuelles und kollektives Gut verbunden.

  • Rollen sind kollektiv soziokulturelle Stereotype (soziologische   Dimension)
  • Rollen sind vorgegebene, individuelle Handlungsmuster
  • Rollen sind individuell gestaltete, abrufbare Handlungsmuster   (sozialpsychologische Dimension)
  • Rolle wird verstanden als tatsächliches Handeln in einer aktuellen   Situation (Rollenhandeln)


    "Jedes Übernehmen einer Rolle (role taking) ist ursprünglich eine Form von Rollenspiel (role playing) gewesen." Für Moreno ist die psychogenetische Betrachtung wichtig. Die Rolle ist älter als die Sprache und älter als das "Ich". bricht mit der Reduktion der Persönlichkeit auf das Ich und das Bewusstsein.

    Die menschliche Entwicklung manifestiert sich bei Moreno in der Entwicklung der Rollen bzw. Rollenhandlungen. Die psychischen Universen bilden dabei die jeweiligen Bedingungen für die Entwicklung der Rollen.

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    Die Gleichaltrigengruppe
    Die besondere Bedeutung der Gruppe der Gleichaltrigen für die Entwicklung des Kindes ist in entwicklungspsychologischer, sozialpsychologischer und soziologischer Sicht unbestritten. Die Gleichaltrigengruppe wird als Sozialisationsinstanz in ihrer Wirksamkeit mit der Familie vergleichbar dargestellt. Kinder müssen lernen, Freunde zu gewinnen, einen Platz in der Gruppe zu behaupten, zusammen zu spielen, zu konkurrieren und zusammenzuhalten und, was in einer pluralen und globalen Gesellschaft immer wichtiger wird, Regeln, unterschiedliche Interessen und Ansichten auszuhandeln. Es ist daher verwunderlich, dass in den verschiedenen Schulen der Kindertherapie dies so wenig beachtet wurde.

    Im gemeinsamen Rollen-Symbol-Spiel unterliegen die Kinder der Notwendigkeit ihre Spielwünsche auszuhandeln und der Notwendigkeit der gemeinsamen Regieführung während des Spiels. Ansprüche müssen geäussert, Absichten angekündigt und in einem Einigungsprozess Normen, Regeln, Sanktionen vereinbart und wieder geändert werden. Durch den Schritt in die Gleichaltrigengruppe wird erlebbar, was es bedeutet, ein Mädchen oder Junge unter vielen zu sein. Anerkennung und Beliebtheit hängen von der Kooperationsfähigkeit ab, sich auf die Auseinandersetzung um Normen und Erwartungen kompetent einzulassen und zu befriedigenden Absprachen, Abstimmungen und Verabredungen zu kommen. Gerade dies macht die therapeutische Wirksamkeit vor allem für Kinder aus, die aus unterschiedlichen Gründen hier Probleme entwickelt haben, sei es als Folge ihres Störungsbildes, als Einzelkind, Scheidungskind usw. "In einem Prozess der Entwicklung und Neusozialisation die das einzelne Kind und die Gesamtgruppe gemeinsam vollziehen muss, geschieht Heilung." (Aichinger/Holl. S.o.)

     
    Das Therapeutenpaar
    Je jünger ein Kind ist, desto eher wird es sein Innenleben im Spiel, im Handeln und Dramatisieren darstellen. Je älter ein Kind ist, desto grösser werden die verbalen Beiträge. Daher müssen die Therapeuten/innen ihr Augenmerk auf nichtsprachliche Prozesse richten, d.h. die Spielhandlung analog, in ihrem Bedeutungsgehalt, verstehen lernen und ebenso analog darauf antworten.

    Das Therapeutenpaar im "Kinderpsychodrama" tut dies, indem es anders als im Erwachsenenpsychodrama und in den meisten Kindertherapien am dramatischen Spiel teilnimmt, zu Mitspielern der Szenen der Kinder wird und ihre Rollen auf der Symbolebene so anlegen, dass sie bei den Kindern therapeutische und/oder pädagogische Bewältigungsprozesse anregen und unterstützen.

    Durch das Mitspielen löst das Leiterpaar intensive Übertragungsbeziehungen zwischen den Kindern und ihnen aus. Dies ist ein wichtiges Element in der Behandlung. Die Kinder übertragen ihre Wünsche, Ängste und Konflikte, die sie mit lebensbedeutsamen Personen oder Ereignissen haben, auf die Leiter/innen. Sie tun dies:

    1. durch ihren individuellen und gemeinsam geäusserten Spielwunsch und ihre Spielbeschreibung (Spielgeschichte),
    2. in ihrer eigene Rollenwahl, wer oder was sie im Spiel sein wollen, und die Rollenbeschreibung, die sie auf Nachfragen den Leitern mitteilen,
    3. in der Rollenwahl für die Leiter/innen und der Rollenbeschreibung durch die Kinder auf genaue und altersgerechte Nachfrage der Leiter.
    So konstellieren sich die Übertragungsbeziehungen in der Initialphase der Spielfindung, der Rollenwahl und im Szenenaufbau in konzentrierter Weise und während der Spielphase im Mitspielen des Leiterpaars nach den Anweisungen und Wünschen der Kinder, die sie im Mitspiel sowohl analog erfassen oder auch verbal erfragen.

    Die Konstellation Leiterpaar und mehrere Kinder in der Psychodramagruppe stellt eine familienähnliche Situation dar, die das Auftauchen und Ausspielen entsprechender Szenen begünstigt. Die Geschehnisse der Kindheit können sich so in Szene setzen und dramatisch ablaufen. In der Übertragungsbeziehung der Kindergruppe können daher spezifische Phasen in der Entwicklung der Kinder im sozialen Kontext wieder inszeniert werden. Damit ist die psychodramatische Gruppenarbeit in ein entwicklungstheoretisches Modell gestellt. In einem Prozess der Entwicklung und Neusozialisierung, die das einzelne Kind und die Gesamtgruppe gemeinsam vollziehen, geschieht Lebensbewältigung und Heilung. Da das Leiterpaar im Kinderpsychodrama die Gruppe als Ganzes, d.h. die Beziehungen zwischen den Kindern, in den Mittelpunkt stellen, sind sie nicht nur bedacht auf die Entwicklung des einzelnen Kindes in der Gruppe, wo Szenen der Familie und ihres Umfeldes reproduziert werden, sondern soziodynamisch auch als soziale Realität, in der sich soziale Kompetenz und Performanz entwickeln lässt. Im Rollen-Symbol-Spiel übernehmen daher die Gruppe und das Leiterpaar auch Entwicklungsfördernde und sozialisierende Funktionen.

     
    Struktur einer Psychodramasitzung
    a. Initialphase
    - Einleitung der Gruppensitzung und Themenfindung
    - Rollenwahl
    - Einrichten der Szenerie (Kulisse, Verkleidung, Requisiten)

    b. Spielphase
    - Einstimmung
    - Anstiftung
    - Strukturierung und Interventionen

    c. Abschlussphase
    - Intensives Entrollen
    - Kurzes Sharing (Was hat Euch gefallen oder nicht gefallen?)
    - Rollenfeedback des Leiterpaars

     
    Therapietechniken und Interventionen im Kinderpsychodrama
    Damit sind generell alle Aktivitäten der PsychodramaleiterInnen gemeint, die der Entwicklung des einzelnen Kindes in der Gruppe oder Einzeltherapie oder die der Entwicklung der ganzen Gruppe im Gruppendynamischen Sinne dienen. So sind die Einleitung der Gruppensitzung und die Themenfindung in der Gruppe wichtige Phasen der Intervention der Gruppenleiter. Ziel in den Therapiestunden ist, dass die daran anschliessende Spielphase den grössten Raum für die Interventionen der Gruppenleiter einnehmen soll. Der Gruppenprozess wird dahingehend begleitet.

    Die therapeutischen Handlungstechniken Doppeln, Spiegeln und Rollentausch leitet Moreno von seiner Entwicklungstheorie her. Sie entsprechen den frühkindlichen Möglichkeiten, die Umwelt und die Mutter zu erfassen und zu erleben. Sie werden daher in ihrer "ursprünglichen" Form im Psychodrama mit Kindern angewendet.

    Den Rollentausch vollziehen Kinder in der Kindertherapie spontan und von sich aus. Sie setzen aktiv um, was sie passiv erlebt und erlitten haben und weisen den Therapeuten meist die Rollen zu, die sie sonst im realen Leben innehaben und fügen ihnen das Unangenehme zu, das ihnen selbst widerfahren ist. Wenn die Therapeuten mit den Kindern die Rollen tauschen und in diesen Rollen ihre Ohnmacht, Ängste, Abhängigkeiten usw. nachempfinden, erfüllen sie nach Moreno das erste Gesetz des Psychodramas: "… versetzt Euch in die Lage des Opfers einer Ungerechtigkeit, teilt mit ihm das Unrecht. Wechselt die Rolle mit dem Opfer." (Moreno, 1964, zitiert nach Friedeman, 1972). Kinder tauschen nicht nur mit den Therapeuten die Rollen, sondern können das selber während eines Spieles zwischen der Rolle des Aktiven und der Rolle des Passiven hin und her wechseln oder spontan bei der Bearbeitung eines unbewussten Konfliktes zwischen Trieb und Abwehr die Rolle tauschen.

    In der Kindertherapie übernehmen die Therapeuten Rollen, in denen sie einfühlendes, stützendes oder explorierendes Doppel der Kinder werden und so das Ich der Kinder stützen können. So werden die Therapeuten zu "symbolischen Doppelgängern" der Kinder und können in ihren Rollen Gefühle, Ängste, und Wünsche aussprechen, die die Kinder (noch) nicht ausdrücken können. Über die Therapeuten lernen die Kinder zu verbalisieren, was sie innerlich bewegt, quält und ihr Wohlbefinden stört und machen dadurch einen grossen Schritt zur Realitätsgewinnung. Hat ein Kind z.B. beim Ausprobieren von neuem Rollenverhalten noch Schwierigkeiten, so kann ein Therapeut in der Rolle, die er gerade spielt, das Kind bei seinen Versuchen durch stützendes Doppeln stärken, so seine Intention aktiv unterstützen und damit zur Entwicklung der Ich-Funktion beitragen. Eine weitere Möglichkeit ist ebenfalls als Hilfs-Ich in einer Rolle beim unkontrollierten Kind die unterentwickelten Ich-Funktionen zu stärken. Die Technik des Doppelgängers kann auch eingesetzt werden, wenn sich die Gruppe noch nicht traut, gegen das frustrierende "böse" Objekt, das einer der Therapeuten verkörpert, vorzugehen. Das explorierende Doppeln ermöglicht z.B. die Intention oder die Erlebnisinhalte der Kinder zu erfragen, indem der Therapeut sich laut in seiner Rolle in einer Art Selbstgespräch fragt oder beide Therapeuten im Zwiegespräch erörtern, warum sich ein Kind (in seiner symbolischen Rolle) oder die Gruppe in einer bestimmten Weise verhalten, was wohl in ihm vorgeht. Sie regen damit die Kinder an, sich mit der Frage auseinanderzusetzen und sich vielleicht auch über das Gefragte zu äussern.

    Um einem Kind in der Kindertherapie sein Verhalten und dessen interpersonelle Auswirkung bewusst zu machen, spielen die Therapeuten die Spiegelrolle, z.B. als Rundfunk- oder Fernsehreporter, und vermitteln dem Kind auf der symbolischen Ebene ein Bild von sich selbst. In der Spiegelrolle haben die Therapeuten auch die Möglichkeit, die aktuell ablaufenden gruppendynamischen Prozesse zu beschreiben und den Kindern vorzuhalten. Die Spiegeltechnik bietet ausserdem die Möglichkeit, Bewunderung auszudrücken, den "Glanz im Auge der Mutter" zu zeigen und in der symbolischen Wunscherfüllung das angeschlagene Selbstwertgefühl wieder aufzuwerten.

    In der Kindertherapie können die Therapeuten die ihnen - im doppelten Sinn des Wortes - übertragenen Rollen, die "guten" und die "bösen" Objekte, spielen und können darin den Kindern lebendig und anschaulich ihre Übertragungen, ihre unbewusste Rollenbeziehung aufzeigen und bewusst machen. Daher ist die kontrollierte Übernahme der Rollen, die die Kinder den Therapeuten auferlegen, durch ihr Mitspielen aktionale Deutung. Die Therapeuten reden im Spiel direkt in der Symbolsprache des Unbewussten mit dem Kind und vermitteln ihm so, dass sie das Bedrohliche und Bedrückende, das es im Spiel ausgedrückt hat, verstanden haben.

    Da Kinder in der Übertragung Wünsche zu befriedigen oder Unlust und Angst abzuwehren versuchen, müssen die Therapeuten das Spiel der Kinder durchschauen und spielen, ohne das Spiel der Kinder zu spielen. Sie müssen daher unter Umständen einen anderen als von den Kindern gewünschten oder befürchteten Ausgang einer Szene herbeiführen und die Kinder mit sich selbst zu konfrontieren. Bei dieser "agierten Deutung" nehmen die Therapeuten im Spiel eine andere als die von den Kindern gewünschte Haltung ein und halten sie konsequent durch, bis die Kinder ihre Haltung ändern.

     
    Psychodrama-Einzeltherapie mit Kindern
    (A.Aichinger. W.Holl. Kinder-Pychodrama in der Familien- und Einzeltherapie, im Kindergarten und in der Schule. 2002 Matthias-Grünewald-Verlag. Mainz)

    Belastende Erlebnisse und negativ bewertete Persönlichkeitsanteile werden von Kindern in der Regel abgespalten, geleugnet oder projiziert, während sie sich selbst, um die Abwehr des Verdrängten aufrecht halten zu können, mit ihren Grössenphantasien identifizieren. Kinder lehnen daher ein bewusstes Erinnern und Durcharbeiten meistens ab und reagieren mit Widerstand.

    Es ist damit auch in der Einzeltherapie sinnvoll, den unbewussten Rollentausch der Kinder ebenso wie in der Gruppentherapie anzunehmen und sich auf dem Wege der Übertragung Rollen zuweisen zu lassen, die die Kinder für die Inszenierung ihrer inter- und intrapsychischen Problematik benötigen. In den übertragenen Rollen kann der/die Therapeut/in in der Gegenübertragung erleben und verstehen, was in ihnen vorgeht.

    Da die Abwehrsysteme der Kinder noch nicht so rigide sind wie bei Erwachsenen, kann das Verdrängte leichter in symbolischer Form in die Gestaltung des kindlichen Spieles einfliessen. Aufgabe des/der Therapeuten/in ist es daher, das symbolische Geschehen zu erschliessen und sich selbst und andere Figuren und Materialien als Antagonisten zur projektiven Besetzung anzubieten. Ziel der Inszenierung ist es, über die "Objektivierung" der abgewehrten Erlebnisse und Persönlichkeitsaspekte deren Differenzierung und Ich-Integration zu erreichen. Dieser Prozess kann ebenso wie in der Gruppentherapie durch verbale oder agierte Interventionen und Deutungen (s.o. Therapietechniken und Interventionen) intensiviert werden.

    Es sind alle Formen und Materialien des kindlichen Spieles und Betätigens, aus denen sich ein symbolisches Spiel entwickeln lässt, für ein Psychodrama in der Einzeltherapie möglich. Dabei sind alle Figuren ob aus dem Puppentheater, dem Legoland, dem Bauernhof, dem Kuscheltiersortiment oder dem Phantasieland, aber auch von Brettspielen denkbar. Günstig ist es, für die Figuren eine Bühne / Spielfeld herzustellen, die ähnlich dem "Einrichten der Szene" in der Gruppentherapie zur Entstehung einer Spiellandschaft und Geschichte einlädt. Dies kann im Sandkasten im Freien oder im Sandkasten (nach Kalff) sein. Es kann auf dem Tisch, dem Boden, auf Polstern sein, die wir mit Steinen, Bauklötzen, Tüchern, Kissen und anderen Materialien zur Spiellandschaft ausstatten. Es empfiehlt sich, eine klare Begrenzung der Spiellandschaft festzulegen und die Spielrealität, die diese Landschaft entwickelt, zu beschreiben und im Spiel anzumahnen.

    Jede Figur und jedes Material gestaltet aus ihrer Eigenart das Spiel des Kindes mit und schafft unterschiedliche Aktivitätsniveaus und Anforderungen an Kind und Therapeutin. Welches Material für ein Kind möglich und richtig ist, hängt von seinem Entwicklungsstand und der Psychodynamik ab.

    Neben dem Figurenspiel ist das Rollenspiel in der Einzeltherapie die intensivste Methode, da es Körper, Gefühle und Gedanken gesamthaft anspricht. Hier brauchen wir jedoch ähnlich dem Gruppenspiel einen grossen Raum, in dem viele Schauplätze entstehen und eingerichtet werden können. Die Materialien sind dabei die Gleichen wie in der Gruppentherapie, Polster, Tücher, Hüte, Seile und evtl. Baufixteile. Die körperliche Aktivität ist im Rollenspiel um ein vielfaches grösser, da wir mit Leib und Seele die Rollen übernehmen und inszenieren. Ebenso aktiviert das Rollenspiel die Grobmotorik des Kindes und intensiviert die Wechselwirkung zwischen Verhalten und Gefühlen. Im Rollenspiel sind zudem viel häufigere Rollenwechsel der/des Therapeutin/en notwendig. Dies stellt jedoch einen hohen Anspruch von Rollenflexibilität an die Therapeuten.